Aufstehen! FrĂŒĂŒĂŒhstĂŒck! … und das um 7.30 Uhr. Egal, immerhin haben wir heute einen langen Ausflug durch die Tundralandschaft von Bohemanflya geplant. Die Steigeisen können wir also heute im Lager lassen.
Nach einem kurzen Blick auf die Karte wissen alle Bescheid: Unser aktuelles Camp haben wir am Fuà eines Gletschers aufgeschlagen und wir wollen bis zum östlichen Ende der Landzunge laufen, nach Bohemanneset, wo sich eine ehemalige Kohlemine befindet. Im Jahr 1899 eröffnet, ist sie die Àlteste kommerzielle Mine Spitzbergens.
Wir marschieren los. Zu Anfang kommen wir sehr gut voran. Das Wetter ist klar, das GelĂ€nde verhĂ€ltnismĂ€Ăig flach und die Tundra trocken. Die ersten Kilometer legen wir schnell zurĂŒck, lediglich eine Begegnung mit einer Gruppe Rentiere bremst unseren Tatendrang. Zwei der jĂŒngeren Rentiere sind extrem neugierig und nĂ€hern sich uns mehrmals bis auf wenige Meter. Immer wieder fliehen sie blitzartig vor den beim Auslösen klackenden Kameras, warten einige Sekunden in sicherer Entfernung und nĂ€hern sich uns anschlieĂend wieder. FĂŒr die Hobbyfotografen unserer Gruppe ist das die Gelegenheit, sie schieĂen ein Rentierfoto nach dem anderen. Nach etwa einer Viertelstunde verlieren die Rentiere das Interesse an uns und sie gesellen sich wieder zum Rest ihrer Gruppe. Wir nehmen das als Anlass zum Aufbruch und marschieren weiter.
Wir sind auf Spitzbergen schon hĂ€ufiger durch die Tundra gewandert, auf Bohemanflya bietet sie uns jedoch eine unglaubliche Vielfalt. Die Tundra ist mal tiefgrĂŒn, dann hellgrau und nur wenige Schritte weiter plötzlich grell-orange. Im einen Moment lĂ€uft man ĂŒber festen, flachen Boden, dann federt die Tundra sanft unter den FĂŒĂen oder ist so weich, dass der Untergrund einige Zentimeter nachgibt.
Langweilig wird es nie.
Wenige Stunden spĂ€ter kommt das Ziel unserer Wanderung in Sicht. Unser Guide Nicola kennt die Gegend sehr gut, Bohemannset ist nicht mehr weit. Vielleicht noch drei Kilometer bis zur KĂŒste, dann haben wir es geschafft.
Unter unseren FĂŒĂen gibt der Boden von Meter zu Meter mehr nach, unsere Schuhe sacken immer tiefer ein und an den Seiten quillt das Wasser immer höher aus der Tundra. Ja, auch das kann Tundra sein â es lĂ€uft sich immer mehr wie auf einem mehrere Monate alten SpĂŒlschwamm. Unser Guide zeigt uns den besten Weg, das zögert den Umstieg auf Gummistiefel etwas heraus, kann ihn jedoch nicht vermeiden.
Inmitten von Blumen und RentierhÀufchen legen wir unsere erste (unfreiwillige) Pause ein und wechseln auf sumpftaugliches Schuhwerk.
Einige von uns sacken bis zur HĂŒfte ein. Hier und da hört man einen Fluch, die Stimmung bleibt aber stets locker und jeder in der Gruppe trĂ€gt einen Teil zur Erheiterung der anderen bei.
Als die HollĂ€nderin Erika witzelt âIch bin zu schwer dafĂŒr. Die sollten wirklich eine Gewichtsbegrenzung fĂŒr diese Touren vorschreiben! Ich hĂ€tte grade fast meine Gummistiefel verloren!â, kommt prompt die Antwort von ihrem Landsmann Henk âDas ist schon OK – solange es dir egal ist, ob du nasse FĂŒĂe bekommst!â.
Nach etwa einem Kilometer durch die sumpfige Tundralandschaft haben wir den Dreh langsam raus, sehen nun besser, wo wir langlaufen können und wo wir unter keinen UmstĂ€nden hintreten dĂŒrfen. Stellen mit genĂŒgend Gras oder RentierhĂ€ufchen sind weitgehend trittfest, Bereiche mit kurzem Gras tabu.
Geschafft. Wir sind fast am Ziel. Direkt hinter dem Tundra-Sumpf geht es noch einen HĂŒgel hinauf und ĂŒber ein Geröllfeld. Die Sicht auf die KĂŒste, die nahen Inseln und den Fjord ist trotz der Bewölkung atemberaubend. Von der Mine ist nicht nicht viel ĂŒbrig, jedoch können wir mehrere alte HolzhĂŒtten, einen wuchtigen Anker, ein altes Boot, einen ehemaligen Brunnen und viele weitere Kleinigkeiten in der Gegend entdecken, die an die lĂ€ngst vergangene Zeit des aktiven Kohleabbaus erinnern.
Wieder gilt: Fotografieren ja! Anfassen nein! Alle Objekte stehen unter Denkmalschutz.
Wir nutzen die Gelegenheit fĂŒr eine kurze Pause, danach ziehen wir weiter.
Um uns den erneuten Marsch durch die durchnĂ€sste Tundra zu ersparen, entscheiden wir uns dafĂŒr, den RĂŒckweg entlang der KĂŒste anzutreten. Auf dem Weg zur KĂŒste kommen wir am Grab von Arne Olsen vorbei. Er war der letzte Trapper, der auf Spitzbergen an Skorbut starb. Das war im Jahr 1926.
Unsere nĂ€chste Station ist ein kleines Flussbett an der KĂŒste, hier zeigt uns Nicola einige kugelrunde Steine. Sie sehen zunĂ€chst aus wie Kanonenkugeln, sie erklĂ€rt uns jedoch, dass es sich um eine natĂŒrliche Form handelt. Einige Meter weiter können wir sehen, woher die Steine stammen. Sie âwachsenâ förmlich aus den Gesteinsplatten heraus, die wir vom Strand aus sehen können.
Der Rest unseres heutigen Ausflugs verlĂ€uft eher ruhig. Die gewĂ€hlte Route entlang der KĂŒste bietet einen traumhaften Ausblick auf den Fjord und wir genieĂen es, nicht mehr hochkonzentriert darauf achten zu mĂŒssen, wo wir hintreten.
Heute Abend werden wir noch in Bohemanflya bleiben, das Camp wird also erst am Morgen wieder auf den Motorsegler verladen, bevor wir den nahe gelegenen Gletscher ĂŒberqueren werden.
Tag 3
ZurĂŒckgelegte Entfernung: 22 Kilometer
Benötigte Zeit: 10 Stunden
Tags: Arne Olsen, Bohemanflya, Isfjord-Umrundung, Trapper, Tundra
Wenn das Licht diffuser wird, die Brise steifer und in Longyearbyen die Laternen angehen, dann ist es soweit: Winterzeit auf Spitzbergen!
Dass auf den rund 60 km entfernten Gipfeln und Gletschern am Nordufer des Isfjords Schnee liegt, ist normal. Und auch weiter sĂŒdlich, in der Bucht vor Longyearbyen, schaffen es einige Schneefelder auf den Bergen und Anhöhen ĂŒber den Sommer.
Seit ein paar Tagen aber fĂ€llt frischer Schnee und ĂŒberzieht auch die stadtnahen und weniger hohen Berge mit einer feinen weiĂen Schicht. Die Schneefallgrenze ist seitdem immer weiter gefallen, die kalten Flocken verirrten sich, zuerst noch mit Regen gemischt, schon bis ins Tal.
In der vergangenen Nacht sind die Temperaturen dann so weit gefallen, dass der Schnee auch auf dem Campingplatz liegen blieb.
Jetzt ist es wohl an der Zeit, Sandalen gegen gefĂŒtterte Schuhe und Sonnen- gegen Skibrille zu tauschen.
…dass hier jetzt schon die Laternen entlang der StraĂen angehen, ist ĂŒbrigens mehr als merkwĂŒrdig. Denn von âdunkelâ sind wir noch weit, weit entfernt – die Nacht erinnert noch nicht einmal an die DĂ€mmerung, auch nachts um 2.00 Uhr ist es taghell.
Tags: Schnee, Schneefall, Sommer, Winter
Rabamm! Donner und Grollen â na, der Tag fĂ€ngt ja gut an… Gewitter? Aber wo bleibt der Regen? Die ganze Nacht ĂŒber hat es in den Bergen gekracht, aber als wir am Morgen die Köpfe aus den Zelten stecken, sieht man am Himmel nur ein paar weiĂe SchĂ€fchenwolken. Von schlechtem Wetter keine Spur.
Verantwortlich fĂŒr das Getöse ist Esmarkbreen, der Gletscher neben dem wir unser Nachtlager aufgeschlagen haben. Immer wenn StĂŒcke des Eismassivs abbrechen und ins Meer fallen, ertönt das Donnern. Der Fachmann nennt diesen Vorgang, bei dem sich Eisschollen und Eisberge bilden, âkalbenâ.
Erstmal frĂŒhstĂŒcken, Lager abbauen und alles auf das Schiff verfrachten. Ein Rhythmus, an den wir uns noch gewöhnen mĂŒssen.
Der Blick auf den Gletscher ist schon von weitem atemberaubend, die unterschiedlichen FĂ€rbungen des Gletschers und die gigantischen Aushöhlungen hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Von Nicola lernen wir, dass dunkelblaues Eis Ă€lter ist als helles. Im Laufe der Zeit presst das Gewicht des Gletschers die Luft aus dem Eis, dadurch bekommt das Eis eine immer dunklere, blaue FĂ€rbung. Diese EisstĂŒcke können Tausende Jahre alt sein.
Wir erreichen den Gletscher und haben zum ersten Mal Gelegenheit, die Steigeisen zu verwenden. Die sind auch dringend nötig, wie wir bereits nach wenigen Metern feststellen. Das Eis ist scharfkantig und glatt, ein Sturz kann hier schnell zu Verletzungen fĂŒhren.
Unser Guide fĂŒhrt uns sicher ĂŒber das Eis zu einem beeindruckenden Gletschersee â ein fantastischer Anblick. Nach einer kurzen Pause wandern wir weiter, immerhin wollen wir noch auf die andere Seite des Passes â der vollkommen eingeschneit ist. Unter dem matschigen Schnee hat sich zu allem Ăberfluss auch noch Wasser gesammelt. Wer hier Pech hat, dem lĂ€uft das Wasser von oben in die Schuhe â kein angenehmes GefĂŒhl. Auf dem Schnee sehen wir immer wieder blass-rote FlĂ€chen, einige halten es fĂŒr Blut. Nicola erklĂ€rt uns, dass es sich um eine Alge handelt, die auf dem Schnee lebt.
Bereits nach wenigen hundert Metern hören wir Wasser rauschen, da wir aber keinen Gletscherbach sehen können, und demnach das Wasser unter dem Eis durchflieĂen muss, entscheiden wir uns fĂŒr einen Umweg. Es wĂ€re einfach zu gefĂ€hrlich, den direkten Weg ins Tal zu nehmen. Wir mĂŒssen auf dem Weg nach unten noch einige Gletscherspalten ĂŒberwinden, diese gehen oft mehrere Meter senkrecht in die Tiefe. Die Steigeisen geben uns die nötige Trittsicherheit bei den SprĂŒngen ĂŒber die Spalten.
Als wir den FuĂ des Gletschers erreichen, funken wir den KapitĂ€n des Motorseglers an. Das Schlauchboot wird zu Wasser gelassen und die Gruppe am Strand eingesammelt, zumindest darin bekommen wir langsam Routine. KapitĂ€n Christopher holt uns persönlich mit dem Schlauchboot ab, er trĂ€gt eine dicke Regenjacke und eine MĂŒtze â kein gutes Zeichen. Also frage ich ihn, ob er Regen erwartet. Er grinst breit und seine Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: âAuf Spitzbergen? Immer!â
Tag 2
ZurĂŒckgelegte Entfernung: 12,6 Kilometer
Benötigte Zeit: 7 Stunden
Tags: Eisberge, Eisschollen, Esmarkbreen, Gletscher, Gletschersee, Gletscherspalten, Isfjord-Umrundung, kalben, Steigeisen
Heute geht es fĂŒr uns auf den ersten mehrtĂ€gigen Trip auf Spitzbergen â eine Isfjord-Umrundung. Wir starten in Trygghamna und die Reise endet in Pyramiden. Ein Motorsegler begleitet uns unterwegs, und an Stellen, an denen ein Weiterkommen zu FuĂ nicht möglich ist, wird er uns ĂŒbersetzen. Schwere AusrĂŒstung wie Zelte und Lebensmittel werden ebenfalls mit dem Boot transportiert, jeder Wanderer muss also nur seinen Tagesrucksack tragen. Was nicht heiĂt, dass dieser leicht ist â Gummistiefel, Regenschutz und Steigeisen mĂŒssen immer dabei sein. Denn wirklich exakt kann man die Gegebenheiten nie vorhersagen.
FrĂŒh am Morgen geht es los: Ein Motorsegler bringt uns nach Trygghamna, wo wir den Rest der Gruppe treffen sollen, bevor wir gemeinsam aufbrechen. Die Ăberfahrt ĂŒber den Fjord dauert mehrere Stunden, bietet aber neben der gemĂŒtlichen AtmosphĂ€re an Bord einen unglaublich faszinierenden Ausblick auf den Fjord, die Gletscher und die Berge. Immer wieder begleiten Eissturmvögel den Motorsegler fĂŒr eine Weile, nur wenige Zentimeter ĂŒber der WasseroberflĂ€che gleitend und halsbrecherische Flugmanöver absolvierend.
In der Bucht Trygghamna angekommen, gestaltet sich das Finden der Gruppe schwerer als gedacht. Mit Geduld, Fernglas und der Hilfe einer Hand voll russischer Wissenschaftler, denen wir zufĂ€llig begegnen, entdecken wir unsere zukĂŒnftigen ReisegefĂ€hrten schlieĂlich am östlichen Ufer der Bucht. Als sie uns bemerken, beginnen sie eilig mit dem Abbau des Lagers, so dass wir direkt nach unserer Ankunft mit dem Verladen auf den Motorsegler beginnen können â mit einem kleinen Schlauchboot mit AuĂenbordmotor.
Das Marschprogramm fĂŒr heute: Zu FuĂ die KĂŒste umrunden und den Motorsegler auf der anderen Seite der Landzunge wiedertreffen, um dann am Nordufer des Gletschers Esmarkbreen unser Nachtlager aufzuschlagen. FĂŒr unseren Schutz und die Planung der richtigen Route ist auf dieser Tour Nicola verantwortlich, eine Meeresbiologin aus Bayern, die bereits seit ĂŒber 15 Jahren als Guide auf Spitzbergen arbeitet. Bereits nach wenigen hundert Metern macht sie uns auf eine Stelle aufmerksam, an der wir ohne sie vermutlich vorbeigelaufen wĂ€ren. Auf einer unscheinbaren Anhöhe wĂ€chst Moos um einige Steine herum, und erst als wir nĂ€her kommen, bemerken wir, dass es sich nicht um Steine, sondern um Knochen handelt. Nicola erklĂ€rt uns, dass wir an einem Walross-Friedhof stehen, einem Ort, der unter Denkmalschutz steht. Sie erzĂ€hlt, dass, nachdem WalfĂ€nger die WalbestĂ€nde rund um Spitzbergen innerhalb kĂŒrzester Zeit so weit dezimiert hatten, dass sich die Jagd auf die MeeressĂ€uger nicht mehr lohnte, kurzerhand die Jagd auf Walrosse verstĂ€rkt wurde. Und hier, wo wir gerade stehen, wurden die erlegten Walrosse an Land gebracht und verarbeitet: Haut, StoĂzĂ€hne und Tran waren besonders wertvoll. Auffallend ist der starke Moosbewuchs rund um die Walross-Knochen. Die Pflanzen wachsen hier so gut, weil der Boden buchstĂ€blich mit dem Walross-Ăberresten getrĂ€nkt wurde. Und obwohl das alles schon ĂŒber 400 Jahre her ist, kann sich die Vegetation noch lange an den NĂ€hrstoffen erfreuen. Viele der Knochen sind noch ĂŒberraschend gut erhalten.
Entlang der KĂŒste ist der Weg steinig, aber leicht zu meistern. Erst als wir fast das Ende der Landzunge erreicht haben, mĂŒssen wir ein wenig klettern. An der KĂŒste vor uns sind nur noch steile Klippen zu sehen, fĂŒr eine Ăberquerung völlig ungeeignet â weiter oben sieht das GelĂ€nde jedoch besser aus.
Oben angelangt, finden wir uns nahe einer kleinen Gruppe Rentiere wieder, die friedlich grast. Sie sind neugierig und nĂ€hern sich uns auf etwa 50 Meter, fĂŒr die Fotografen der Gruppe ist es der Ausgleich fĂŒr das verpasste Robbenfoto. Wir gehen weiter bis zum Ende der Landzunge, bis nach Selmaneset. Die Felsformationen dort erinnern stark an eine von Menschenhand gebaute Festung. Das bizarr von Kontinentalplatten-Bewegungen aufgeschobene Gestein zieht sich quer unter dem Fjord hindurch bis an dessen SĂŒdufer: Festningen, zu Deutsch âFestungâ. Bei gutem Wetter und mit einem Fernglas könnte man es auch von hier aus sehen â aber nicht mit der gerade ĂŒber den Fjord ziehenden Nebelbank. Im Osten erblicken wir eine nahe Felsinsel, wo jeden Sommer Tausende Vögel nisten. Auch jetzt tummeln sich hier Eissturmvögel und Eismöwen in groĂer Zahl und kreisen ĂŒber der Insel.
Wir machen uns auf zum Strand, wo wir von dem Motorsegler eingesammelt werden sollen. An einem Strandabschnitt stehen groĂe Zelte, gesichert mit einer BĂ€renwarnanlage, die wir schon von weitem erkennen können. Einige hundert Meter entfernt findet die Gruppe Ăberreste eines alten Ruderboots. Daneben ein Walross-StoĂzahn. SchnappschĂŒsse sind natĂŒrlich erlaubt. Anfassen, bewegen oder gar mitnehmen darf man beides nicht â die Objekte stehen unter Denkmalschutz.
Ăber eine HĂŒgelkuppe kommt uns eine vierköpfige Gruppe entgegen. Eine kurze Unterhaltung klĂ€rt auf: Die vier sind Geologen aus St. Petersburg, sammeln Steinproben und wohnen in den Zelten, die wir kurz vorher gesehen haben.
Etwas weiter nördlich finden wir einen weiteren Zugang zum Strand. Die Stelle ist optimal, um vom Schlauchboot aufgesammelt zu werden. Da damit aber immer nur drei Personen zum Motorsegler transportiert werden können, dauert der gesamte Transfer etwa eine halbe Stunde. Als Guide bleibt Nicola natĂŒrlich bis zuletzt am Strand, schlieĂlich könnte uns auch hier jederzeit ein EisbĂ€r begegnen. Nach einer kurzen Ăberfahrt bauen wir die Zelte und die EisbĂ€renwarnanlage in der NĂ€he des Gletschers Esmarkbreen auf. Nach dem Abendessen kriechen wir in unsere SchlafsĂ€cke, ein langer Tag geht zu Ende.
Tag 1
ZurĂŒckgelegte Entfernung: 8,2 Kilometer
Benötigte Zeit: 4 Stunden
Tags: Esmarkbreen, Festningen, Isfjord-Umrundung, Motorsegler, Pyramiden, Selmaneset, Spitzbergen, Trygghamna, Tundra, Walross
Marco ist ĂŒbrigens der junge Mann ohne Buch.
Tags: Campingplatz, Gast, Vogel, Zelt
Die einen nennen es âskandinavische Gelassenheitâ, die anderen bezeichnen das PhĂ€nomen, dem man auf Spitzbergen ĂŒberall begegnet, mit âarctic timeâ. Trotz der Tatsache, dass der Spitzbergen-Archipel in der gleichen Zeitzone wie Deutschland liegt, scheint es eine gewisse Verschiebung, Dehnung und Raffung der Zeit zu geben. Je nachdem, mit wem man zu tun hat, verhĂ€lt sich die Zeit unterschiedlich. Das alles klingt bestimmt verwirrend. Willkommen in der Arktis!
Wer straffe ZeitplÀne gewohnt ist, eindeutige Terminzusagen möchte oder einfach nur nach einem groben Zeitrahmen fragt, der sollte folgende Faustformel beherzigen:
30 Minuten ist die Standard-Zeiteinheit auf Spitzbergen. Alles hier dauert 30 Minuten, unabhĂ€ngig davon, wieviel Zeit im Rest der Welt verstreicht. Die Antwort auf die Frage âWann geht es los?â wird also stets âIn 30 Minuten!â sein. Wenn jemand, und das kommt selten vor, mit âIn 15 Minuten!â antwortet, dann wird er diese Aussage erfahrungsgemÀà noch mehrfach wiederholen.
In unserer Formel ist also 30 Minuten der Ausgangswert fĂŒr alle Berechnungen und wird fĂŒr a eingesetzt. Zu diesem wird dann ein kompliziertes Geflecht aller möglichen Unbekannten und teilweise Bekannten, NĂ€herbaren und frei Interpolierbaren addiert â auch bekannt als âSpitzbergen-Algorithmusâ.
Beherzigt man diese Faustformel, dann ist man stets im Bilde darĂŒber, wann etwas stattfindet und wieviel Zeit man noch hat, um sich auf das Ereignis vorzubereiten.
Am Ende lĂ€uft es immer auf eines hinaus: Ein unbestimmter Zeitraum verstreicht, man wartet und dann geht es von jetzt auf gleich los. Sobald der Zeitraum, auf Spitzbergen âarctic timeâ genannt, verstrichen ist, bricht Hektik aus und alles muss schnellstmöglich erledigt werden.
Anhand eines kurzen Beispiels lÀsst sich das vielleicht verdeutlichen:
Wenn nach langer Wartezeit plötzlich und völlig unerwartet um 23 Uhr eine Schiffsladung Asphalt ankommt, mit dem die wenigen StraĂen-Kilometer der Insel ausgebessert werden sollen, kann keine Sekunde mehr ungenutzt verstreichen. UnverzĂŒglich rĂŒcken Bauarbeiter mit einer mobilen StraĂenausbesserungskolonne an, positionieren ihre Bagger, Laster und Planierraupen und machen Schlaglöchern und FrĂ€skanten den Garaus. Aufgehört wird erst, wenn alles fertig ist â und das kann im Zweifel auch erst am nĂ€chsten Morgen um sechs Uhr in der FrĂŒh der Fall sein.
Tags: arctic time, Arktis, Spitzbergen Archipel